Eine riesige Anzahl von Finanzgeschäften (Kredite, Derivate, Einlagen) mit einem gewaltigen Volumen sind von der Benchmarkreform betroffen.
Eine Unsicherheit resultiert aber bereits aus dem Prozess der Zinsumstellung an sich. Denn obwohl in den eingangs beschriebenen Arbeiten zur Überarbeitung der Referenzzinssätze bereits seit Jahren die Notwendigkeit sogenannter Fall-back Lösungen hervorgehoben wird, enthalten die allermeisten der aktuell bestehenden Kredit-/Derivat- und Einlagenverträge keine Regelung für einen dauerhaften Wegfall der Referenzzinsen (EURIBOR, EONIA, LIBOR). Zwar sind in den Vertragswerken der größeren Marktteilnehmenden sogenannte Marktstörungsklauseln üblich. Diese bieten allerdings nur eine Lösung für eine temporäre Nichtverfügbarkeit des Referenzzinses. Würden diese Klauseln auch für den dauerhaften Austausch Anwendung finden, wäre dies sehr wahrscheinlich zum Nachteil des Kunden - enthalten doch diese Regelungen meist nur wenige Einsichts- und Einflussrechte.
Vorstellbar sind nun verschiedene Varianten, wie diese Regelungslücke im Vertrag zu schließen ist: Vom Unterbreiten von Nachträgen mit einem Ersatzzins bis zur Kündigung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Auch hieraus entstehen, wie am Beispiel der Negativzinsen 2016 erlebt, erhebliche Unsicherheiten.
Wenn tatsächlich auch der EURIBOR (egal, welcher Laufzeit) durch €STR, also einen Tageszinssatz, ersetzt wird, gibt es eine weitere überraschende Veränderung: den Zeitpunkt der Zinsfeststellung. Denn während ein Kreditzins auf Basis des 3-Monats-EURIBOR am Beginn des Zinsquartals festgestellt wird, ergäbe sich der auf Basis des €STR ermittelte effektive Zinssatz erst kurz vor Ende des Zinsquartals. Solche als „in-arrears“ bezeichnete Zinsfeststellungen gibt es im institutionellen Bereich schon länger und sie haben sich auf dem britischen Kapitalmarkt - dem Vorreiter der Umstellung auf kurzfristige Zinsen – bereits als Marktstandard etabliert. Erst am Ende der Zinsperiode den genauen Zinssatz zu kennen, ist für die meisten Kunden allerdings ungewohnt und erschwert die Liquiditätsplanung erheblich, da erst kurz vor Fälligkeit der Zinszahlung feststeht, welcher Betrag zu zahlen ist. Zudem könnte die Bank bestrebt sein, wegen der i.d.R. gegenüber dem bisher üblichen 3-Monats- und 6-Monats-EURIBOR niedrigeren Tagesgeldsätze einen weiteren Margenaufschlag zu verlangen.
Außerdem droht die Gefahr, dass Banken uneinheitlich vorgehen. Dies hat mindestens dann Bedeutung für den Kunden, wenn er mehrere Geschäfte zu Bewertungseinheiten zusammengefasst hat. Denn wenn z.B. der Kreditgeber bei den notwendigen Anpassungen anders vorgeht, als der Derivatepartner eines dazugehörigen Swapgeschäfts, droht die Gefahr einer sinkenden Hedgeeffektivität, womit gegebenenfalls eine gebildete Bewertungseinheit infrage gestellt wird. Als weitere Folge droht dann gegebenenfalls ein zusätzlicher Rückstellungsbedarf.
Zumindest bei allen zukünftigen Geschäftsabschlüssen mit EURIBOR-, LIBOR- oder EONIA-Bezug sollten die vorgenannten Risiken im Blick behalten werden. Neue Verträge mit Bezug zu solchen Referenzzinsen sollten bereits unter Berücksichtigung von Fall-back-Lösungen für den dauerhaften Wegfall von Referenzzinssätzen abgeschlossen werden, die auch die Interessen der Kundenseite berücksichtigen.
Sobald Banken damit beginnen, Nachträge für bestehende Verträge zu unterbreiten, empfiehlt es sich, diese sowohl juristisch als auch wirtschaftlich genau zu prüfen, um weder einer versteckten Margenerhöhung leichtfertig zuzustimmen, noch unbeabsichtigt neue Risiken in Kauf zu nehmen. Bei variabel verzinsten Krediten könnte sich zur Reduzierung von zukünftigen Risiken – nicht zuletzt aufgrund der jahrelangen Niedrigzinsphase - gegebenenfalls ein vorzeitiger Tausch bestehender variabel verzinslicher Darlehen in einen klassischen Festzinskredit anbieten. Eventuell gebildete Bewertungseinheiten könnten dann aufgelöst werden. Bei anderen Geschäften, wie Zinsswaps, die aufgrund der bisherigen Zinsentwicklung gegebenenfalls negative Barwerte aufweisen, braucht es andere Lösungen (vergleiche Aufsatz "Prüfung der Wirtschaftlichkeit einer Beendigung von Swapgeschäften"). Eine pauschale Empfehlung ist jedoch nicht möglich. In jedem Fall sollten Kapitalmarktteilnehmer ihre Finanzinstrumente und vertraglichen Vereinbarungen auf mögliche Risiken des Wegfalls bestehender Referenzzinsvereinbarungen untersuchen und sich entsprechend vorbereiten. Da es derzeit noch keinen Marktstandard gibt, müssen vermutlich häufig kundenindividuelle Lösungen unter Berücksichtigung der Gesamtsituation erarbeitet werden.